EIN BLICK AUF DAS SMARTPHONE VON LEIF ULLMANN

In der Serie „Homescreen!“ präsentiert das Magazin Basic Thinking regelmäßig die Homescreens von Menschen aus der Social Media-, Marketing-, Medien- und Tech-Welt – inklusive spannender App-Empfehlungen und Tipps. Unser Geschäftsführer Leif Ullmann hat für das Format sein Smartphone entsperrt.

Leif Ullmann basicthinking

„WER WAS ZU SAGEN HAT, MUSS SICH NICHT KURZFASSEN.“

In unserem Format: nwtn Essentials – Der Talk hat sich Leif Ullmann das Goldfisch-Theorem vorgeknöpft.

Was in aller Welt ist das Goldfisch-Theorem?

Das Goldfisch-Theorem ist einer der beliebtesten und leider inflationär verwendeten Einstiege in Vorträgen und Präsentationen in der digitalen Marketingbubble. Es besagt, dass die Aufmerksamkeitsspanne eines Menschen nur noch bei maximal 8 Sekunden liegt und damit die eines Goldfisches (9 Sekunden) im Laufe der Jahre unterschritten hat. Sie dient den Referierenden als Beleg, dass Content und Informationsvermittlung immer kürzer, schneller und direkter sein muss, um ja nicht die User:innen zu verlieren.

Aber der Trend zur Kürze ist doch da, auch ohne Goldfisch!?

Ganz klar: es gibt einfach viel mehr Bühnen für kurze Content-Formate. Wir dürfen jedoch nicht Kurzform mit Verkürzen verwechseln. Wer was zu erzählen hat, muss sich nämlich nicht kurz halten. Oder anders herum: Auch lange Formate können kurzweilig sein. Und wenn nicht, ist man auch schon zu Zeiten von Bild, BamS und Glotze vorm Fernseher eingepennt. Wer in der Kürze aber das Panazee des Content-Marketing sieht, wird keine großen Sprünge machen, vor allem nicht den ins Erinnerungsvermögen der Konsument:innen.

Wie sollen wir uns also gegen den Goldfisch behaupten?

Indem wir wieder mehr übers Aquarium hinausdenken und -wachsen. Für den Goldfisch mag es die ganze Welt sein, mit Marken und Unternehmen müssen wir raus aufs Meer. Von Purpose bis Produktinnovation: Die Fragen der Konsument:innen an Marken und Unternehmen, oder die der eigenen Mitarbeitenden, werden vielfältiger, die Antworten komplexer. Klar gibt es kreative Kurzformen, die auch komplexe Themen in wenigen Sekunden vermitteln. Auf TikTok und Insta sehen wir das jeden Tag. (Leider viel zu selten brand- oder corporateborn) Diese Assets braucht es sogar zwingend. Als Teaser, first contact oder einfach zur Unterhaltung. Die Diggin Deeper-Form brauchen wir aber genauso nötig.

Stichwort Diggin Deeper: Und wie groß ist nun die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen wirklich?

Wir sind in der Lage ganze Serien an einem Wochenende zu bingen, Podcasts sind zum 90-Minuten-Format avanciert und Talkshows wie Markus Lanz boomen, weil hier gerade nicht alles in 30-Sekunden-Statements gequetscht wird. Es scheint also, als könnten wir ne ganze Weile durchhalten. Was übrigens auch für den Goldfisch gilt. Studien sagen, dass diese sich teilweise noch bis zu zwei Jahre an Stellen erinnern, an denen sie Futter fanden. Das beweist also, dass Aufmerksamkeit und Relevanz korrelieren – und zeigt, dass das Goldfisch Theorem eher Quatsch ist. Oder schlichtweg Opfer einer Verkürzung geworden ist…

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KAROLINE VON NWTN IM INTERVIEW

In der Interview-Reihe „Content-Buzzer“ stellt Sabine Fäth, Gründerin von SCRIBERS[HUB], Kommunikationsprofis regelmäßig Fragen zum Thema Content.

In der Interview-Reihe „Content-Buzzer“ stellt Sabine Fäth, Gründerin von SCRIBERS[HUB], Kommunikationsprofis regelmäßig Fragen zum Thema Content.

CONTENT MARKETING AUS DEM BILDERBUCH

Dieser Text erschien zuerst als Gastbeitrag im Februar 2019 bei lead digital (w&v)

Von Leif Ullmann. Seit einigen Tagen sorgen in den Timelines der sozialen Medien Bilder eines sogenannten „EU Passport“ für Aufmerksamkeit. Individuell ausgestellt auf die jeweiligen Absender:innen des Posts, erwecken die Pässe den Eindruck eines neuen offiziell erhältlichen Ausweisdokuments. Wo kann ich diesen Europapass bitte beantragen, ist wohl die erste Reaktion derjenigen, denen der europäische Gedanke zwischen Brexit-Wirrungen und den nahenden EU-Wahlen ein Statement wert ist. Die digitale Spurensuche führt uns dann aber nicht in ein offizielles Amtsportal mit Antragsformular und bürokratischer Begleitmusik, sondern schnurstraks auf die Website der österreichischen Indie-Band „Bilderbuch“.

Die vierköpfige Gruppe aus Wien, die ihren Namen definitiv nicht nach Google-Kriterien ausgewählt hat, fordert die Websitebesucher auf, ihre EU-Identity zu checken und bietet zwei Clicks weiter besagten EU-Passport zum Selbstausfüllen und Download an. Ganz unbürokratisch können also  User:innen aufs virale Trittbrett springen und sich binnen Sekunden zu EU-Bürger:innen machen. Mit #Europa22 bietet die Band gleich noch den passenden Hashtag dazu. Schöne Idee zur EU-Wahl mag man auf den ersten Blick denken. Content Marketing nach allen Regeln der Kunst zeigt sich jedoch nach genauerer Betrachtung. Denn die Passaktion der Band ist nicht nur als Dienst an EU-freundlichen Bürger:innen zu verstehen, sondern Teil einer intelligenten Content-Marketing-Kampagne zur Veröffentlichung ihres neuen Albums. Ein aus meiner Sicht positiver Case, wie zeitgemäßes Content-Marketing funktionieren kann. Genau deshalb lohnt ein Blick auf die Zutaten:

Pro-EU-Idee passt in die mediale Agenda

Thema und Relevanz: Während in London die Brexit-Modalitäten immer kuriosere Formen annehmen und kurz vor der anstehenden Europa-Wahl der Sinn und Zweck der europäischen Union immer kontroverser diskutiert wird, setzt die Band mit ihrer Pro-EU-Idee auf eines der aktuell zentralen Nachrichten- und Debatten-Themen auf. Dass #Europa22 dabei nicht nur Kampagnenhashtag, sondern gleichzeitig Titel der Vorabsingle zum neuen Album der Band Bilderbuch ist, schafft gewissermaßen eine natürliche Verbindung zum Produkt. Während etliche Content-Marketing-Ideen schon an der fehlenden thematischen Relevanz scheitern, dringen Bilderbuch hier also perfekt in die mediale Agenda vor.

Bilderbuch bedienen die Sehnsucht nach mehr Haltung

Purpose:  Während viele Unternehmen aktuell im Marketing den Zweck ihres Handelns definieren und nach außen stellen, waren Musik und Kultur schon immer sehr Purpose umhaucht. Einer Band nimmt man dabei eine Haltung oder ein politisches Statement viel eher ab, als einem globalen Unternehmen. In den vergangenen Jahren sind klare politische Bekenntnisse von Musikern dennoch eher rar geworden. Sei es aus Angst vor rückläufigen Ticket- und CD-Verkäufen oder aus tatsächlich mangelnder Haltung. Bilderbuch bedienen mit der EU-Kampagne die Sehnsucht nach mehr Haltung und bieten über den Viraleffekt allen Fans die Chance, sich dieser anzuschließen. Aufgrund ihrer Herkunft aus der Indie-Szene laufen sie zudem nicht Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen. Kurz gesagt: Thema, Haltung und Absender ergeben eine perfekte Symbiose.

Konversion an der Konzertkasse?

Zielgruppe: Haltung und Thema können noch so ausgeprägt und relevant sein. Wenn sie nicht ins ungefähre Mindset der Zielgruppe passen, wird der Marketingerfolg eher bescheiden ausfallen oder die Kampagne gar zum Boomerang werden. Musiker:innen, die tendenziell über Heimatgefühle und entsprechende Sehnsüchte singen, würden mit der Passport Idee bei ihren Fans vermutlich wenig virale Lust stimulieren und umgekehrt bei der Generation-Pro-EU kaum Credibility aufbauen können. Die (bestehenden) Bilderbuch-Fans jedoch teilen Haltung und Geist der Band und sind somit die Viralmacher:innen für ebenselbe und letztendlich auch für ihre Musik und Platten. Denn wir erinnern uns kurz: Bilderbuch möchten (auch) ihr neues Album vermarkten und ein nicht unerheblicher Teil der Passport Nutzer:innen wird die Musik und Band zuvor noch nicht auf dem Radar gehabt haben. Alle User:innen, die bei der Aktion mitmachen, landen also erstmal im Salesfunnel für Album und Tournee. Ob es am Ende für eine echte Konversion an die Konzertkasse oder in den ITunes Store reicht, liegt dann vermutlich doch schlicht und einfach am Musikgeschmack der neuen EU-Bürger:innen. An mangelndem Marketing Buzz werden Bilderbuch zumindest in diesem Frühjahr nicht scheitern.

Digitales Erwachen der Musikbranche

Während der Musikbranche lange eine gewisse digitale Schläfrigkeit nachgesagt wurde, ist der aktuelle Bilderbuch Case ein gutes Beispiel dafür, wie geschicktes Content-Marketing den üblichen PR- und Marketing-Baukasten im Musikbusiness ersetzen kann. Bühnen für Promo-Auftritte sind mangels Late-Night-Formaten oder großen Shows wie einst „Wetten, Dass“ eher rar geworden, Musikmagazine gehören ebenfalls zur aussterbenden Gattung und die Abspielplattform Radio wird auch immer gleichförmiger. Der EU-Passport wiederum schafft derzeit nicht nur in den sozialen Medien Reichweite für die Band, sondern sorgt auch in klassischen Medien für Berichterstattung. Letzter Dreh ist übrigens eine Debatte darüber, ob nicht ein Weltbürger:innen-Pass die noch zeitgemäßere Idee wäre. Aber der passt einfach nicht zur Single #Europa22.

Leif Ullmann ist seit 1. Januar 2019 Geschäftsführer der Agentur nwtn (gesprochen Newton). Er kümmert sich um die Entwicklung digitaler Content Formate und non linearer Storytelling Ideen. Bis Ende 2018 war er – zuletzt als Director Content – über 13 Jahre in verschiedenen redaktionellen Positionen bei fischerAppelt tätig. 

NWTN RECOMMENDATION: CONTENT GEKONNT

Standardwerk Content Marketing

In diesem von fischerAppelt Vorstand Matthias Wesselmann herausgegeben Praxishandbuch berichten über 30 renommierte Content-Marketing-Expert:innen und Praktiker:innen über Erfahrungen, Lernkurven und Erfolgsfaktoren – leicht verständlich, anregend und mit aktuellen Fallbeispielen illustriert.

Aus dem Inhalt
  • Wie Content Marketing gesehen wird – von Kund:innen und im Unternehmen
  • Welche Voraussetzungen Content Marketing braucht
  • Wie Content Marketing die Konsument:innen erreicht
  • Wie Content Marketing entsteht – in B2C und B2B
  • Welche Content-Marketing-Formate existieren
  • Welche Verbreitungskanäle Content Marketing nutzt
  • Wie sich der ROI von Content Marketing messen lässt
  • Praxis-Beispiele – so gelingt es

nwtn meint: click&buy!