NWTN RECOMMENDATION: CONTENT GEKONNT

Standardwerk Content Marketing

In diesem von fischerAppelt Vorstand Matthias Wesselmann herausgegeben Praxishandbuch berichten über 30 renommierte Content-Marketing-Expert:innen und Praktiker:innen über Erfahrungen, Lernkurven und Erfolgsfaktoren – leicht verständlich, anregend und mit aktuellen Fallbeispielen illustriert.

Aus dem Inhalt
  • Wie Content Marketing gesehen wird – von Kund:innen und im Unternehmen
  • Welche Voraussetzungen Content Marketing braucht
  • Wie Content Marketing die Konsument:innen erreicht
  • Wie Content Marketing entsteht – in B2C und B2B
  • Welche Content-Marketing-Formate existieren
  • Welche Verbreitungskanäle Content Marketing nutzt
  • Wie sich der ROI von Content Marketing messen lässt
  • Praxis-Beispiele – so gelingt es

nwtn meint: click&buy!

CONTENT MARKETING AUS DEM BILDERBUCH

Dieser Text erschien zuerst als Gastbeitrag im Februar 2019 bei lead digital (w&v)

Von Leif Ullmann. Seit einigen Tagen sorgen in den Timelines der sozialen Medien Bilder eines sogenannten „EU Passport“ für Aufmerksamkeit. Individuell ausgestellt auf die jeweiligen Absender:innen des Posts, erwecken die Pässe den Eindruck eines neuen offiziell erhältlichen Ausweisdokuments. Wo kann ich diesen Europapass bitte beantragen, ist wohl die erste Reaktion derjenigen, denen der europäische Gedanke zwischen Brexit-Wirrungen und den nahenden EU-Wahlen ein Statement wert ist. Die digitale Spurensuche führt uns dann aber nicht in ein offizielles Amtsportal mit Antragsformular und bürokratischer Begleitmusik, sondern schnurstraks auf die Website der österreichischen Indie-Band „Bilderbuch“.

Die vierköpfige Gruppe aus Wien, die ihren Namen definitiv nicht nach Google-Kriterien ausgewählt hat, fordert die Websitebesucher auf, ihre EU-Identity zu checken und bietet zwei Clicks weiter besagten EU-Passport zum Selbstausfüllen und Download an. Ganz unbürokratisch können also  User:innen aufs virale Trittbrett springen und sich binnen Sekunden zu EU-Bürger:innen machen. Mit #Europa22 bietet die Band gleich noch den passenden Hashtag dazu. Schöne Idee zur EU-Wahl mag man auf den ersten Blick denken. Content Marketing nach allen Regeln der Kunst zeigt sich jedoch nach genauerer Betrachtung. Denn die Passaktion der Band ist nicht nur als Dienst an EU-freundlichen Bürger:innen zu verstehen, sondern Teil einer intelligenten Content-Marketing-Kampagne zur Veröffentlichung ihres neuen Albums. Ein aus meiner Sicht positiver Case, wie zeitgemäßes Content-Marketing funktionieren kann. Genau deshalb lohnt ein Blick auf die Zutaten:

Pro-EU-Idee passt in die mediale Agenda

Thema und Relevanz: Während in London die Brexit-Modalitäten immer kuriosere Formen annehmen und kurz vor der anstehenden Europa-Wahl der Sinn und Zweck der europäischen Union immer kontroverser diskutiert wird, setzt die Band mit ihrer Pro-EU-Idee auf eines der aktuell zentralen Nachrichten- und Debatten-Themen auf. Dass #Europa22 dabei nicht nur Kampagnenhashtag, sondern gleichzeitig Titel der Vorabsingle zum neuen Album der Band Bilderbuch ist, schafft gewissermaßen eine natürliche Verbindung zum Produkt. Während etliche Content-Marketing-Ideen schon an der fehlenden thematischen Relevanz scheitern, dringen Bilderbuch hier also perfekt in die mediale Agenda vor.

Bilderbuch bedienen die Sehnsucht nach mehr Haltung

Purpose:  Während viele Unternehmen aktuell im Marketing den Zweck ihres Handelns definieren und nach außen stellen, waren Musik und Kultur schon immer sehr Purpose umhaucht. Einer Band nimmt man dabei eine Haltung oder ein politisches Statement viel eher ab, als einem globalen Unternehmen. In den vergangenen Jahren sind klare politische Bekenntnisse von Musikern dennoch eher rar geworden. Sei es aus Angst vor rückläufigen Ticket- und CD-Verkäufen oder aus tatsächlich mangelnder Haltung. Bilderbuch bedienen mit der EU-Kampagne die Sehnsucht nach mehr Haltung und bieten über den Viraleffekt allen Fans die Chance, sich dieser anzuschließen. Aufgrund ihrer Herkunft aus der Indie-Szene laufen sie zudem nicht Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen. Kurz gesagt: Thema, Haltung und Absender ergeben eine perfekte Symbiose.

Konversion an der Konzertkasse?

Zielgruppe: Haltung und Thema können noch so ausgeprägt und relevant sein. Wenn sie nicht ins ungefähre Mindset der Zielgruppe passen, wird der Marketingerfolg eher bescheiden ausfallen oder die Kampagne gar zum Boomerang werden. Musiker:innen, die tendenziell über Heimatgefühle und entsprechende Sehnsüchte singen, würden mit der Passport Idee bei ihren Fans vermutlich wenig virale Lust stimulieren und umgekehrt bei der Generation-Pro-EU kaum Credibility aufbauen können. Die (bestehenden) Bilderbuch-Fans jedoch teilen Haltung und Geist der Band und sind somit die Viralmacher:innen für ebenselbe und letztendlich auch für ihre Musik und Platten. Denn wir erinnern uns kurz: Bilderbuch möchten (auch) ihr neues Album vermarkten und ein nicht unerheblicher Teil der Passport Nutzer:innen wird die Musik und Band zuvor noch nicht auf dem Radar gehabt haben. Alle User:innen, die bei der Aktion mitmachen, landen also erstmal im Salesfunnel für Album und Tournee. Ob es am Ende für eine echte Konversion an die Konzertkasse oder in den ITunes Store reicht, liegt dann vermutlich doch schlicht und einfach am Musikgeschmack der neuen EU-Bürger:innen. An mangelndem Marketing Buzz werden Bilderbuch zumindest in diesem Frühjahr nicht scheitern.

Digitales Erwachen der Musikbranche

Während der Musikbranche lange eine gewisse digitale Schläfrigkeit nachgesagt wurde, ist der aktuelle Bilderbuch Case ein gutes Beispiel dafür, wie geschicktes Content-Marketing den üblichen PR- und Marketing-Baukasten im Musikbusiness ersetzen kann. Bühnen für Promo-Auftritte sind mangels Late-Night-Formaten oder großen Shows wie einst „Wetten, Dass“ eher rar geworden, Musikmagazine gehören ebenfalls zur aussterbenden Gattung und die Abspielplattform Radio wird auch immer gleichförmiger. Der EU-Passport wiederum schafft derzeit nicht nur in den sozialen Medien Reichweite für die Band, sondern sorgt auch in klassischen Medien für Berichterstattung. Letzter Dreh ist übrigens eine Debatte darüber, ob nicht ein Weltbürger:innen-Pass die noch zeitgemäßere Idee wäre. Aber der passt einfach nicht zur Single #Europa22.

Leif Ullmann ist seit 1. Januar 2019 Geschäftsführer der Agentur nwtn (gesprochen Newton). Er kümmert sich um die Entwicklung digitaler Content Formate und non linearer Storytelling Ideen. Bis Ende 2018 war er – zuletzt als Director Content – über 13 Jahre in verschiedenen redaktionellen Positionen bei fischerAppelt tätig. 

AUDIO IST DIE KÖNIGSDISZIPLIN

In unserem Format: nwtn Essentials – Der Talk hat Leif Ullmann den aktuellen Podcast Hype eingeordnet.

Alle reden über Podcasts. Echter Trend? Oder Sau, Dorf, dankeschön?

Ganz klar nachhaltiger Trend und nicht nur Hype. Das belegen seit Jahren steigende Abrufzahlen. Nachdem das Radio über Jahrzehnte daran gearbeitet hat, jeglichen „Inhalt“ aus dem Programm zu dudeln, hat sich das Wort neue Bühnen gesucht und dank smarter digitaler Broadcasting-Mittel auch gefunden. Auch in Marketing und Kommunikation spielen Podcasts eine immer größerer Rolle. Mit viel Luft nach oben: In einer fischerAppelt Studie zum Marketingmix der Zukunft setzen nur 5 Prozent entschieden auf die neuen Audio-Möglichkeiten.

Podcasts dauern häufig sehr lang, während die Aufmerksamkeitsspanne abnimmt. Wie geht das zusammen?

Der Podcast-Konsum liegt vor allem in den sogenannten digitalen Ruhephasen der Menschen. Gründe für diese Ruhephasen können eingeschränkte Smartphone-Nutzung sein (etwa im Auto/DB/Flugzeug oder beim Joggen/Fitness) oder die sogenannte Drive Time auf dem Rückweg von der Arbeit, vor dem Einschlafen oder während Tätigkeiten, die keine sonstige kognitive Leistung erfordern. Er ersetzt aber immer häufiger auch den morgendlichen Radiokonsum, vor allem durch journalistisch geprägte Morningbriefings.

Wie springen Unternehmen auf den Podcast Hype auf?

Audio pflegte jenseits von Funkspots oder Radiomaterndiensten im Marketing lange ein totales Nischendasein. Zuhören war einfach nicht sexy. Über visuelle Reize oder knackige Claims ließen sich Produkte und Markenbotschaften einfach besser verkaufen. Aber aktuell tut sich was, Unternehmen fangen an auszuprobieren. Entweder, in dem sie sich auf ein bestimmtes Thema fokussieren, etwa aus dem Bereich Wissenschaft oder Lebenshilfe, das sich aus ihren Produkten oder Kernkompetenzen ableitet, oder aber als Employer Branding Podcast, der für interessierte Bewerber:innen ebenso funktioniert wie für die eigene Belegschaft.

Was braucht es denn für gutes „Branded Audio“?

Aktuell erfolgreiche Podcast-Formate leben von starken Personalities – oft auch als Duo oder Trio. Die Presenter:innen sind also ausschlaggebend für den Erfolg. Sie sind das zentrale Bindungselement für den Hörer. Zudem vertreten sie oft klare Meinungen und Positionen und zeigen sich auch von ihrer persönlichen und privaten Seite. Das sind alles Dinge, mit denen sich Marken und Unternehmen traditionell schwer tun. Sie sind es eher gewohnt zu „inszenieren“ und sich bei polarisierenden Themen möglichst neutral zu geben. Also eher Voraussetzungen bei denen einem die Ohren einschlafen.

Mit welchen Themen könnte man punkten?

Schaut man in die Podcastcharts, dann ist das Themenspektrum sehr vielfältig. Sexualität, Beziehungen, Frauen- und Männerklischees sind traditionell hoch gerankt. Andere erfolgreiche Podcasts zeichnen sich durch eine starke monothematische Ausrichtung wie Fußball, Wissen und Politik oder Crime aus. Aus meiner Sicht wichtig: Das Thema muss zum Absender passen und es muss von Sekunde eins eine Leidenschaft zu spüren bzw. hören sein. Und Leidenschaft kann man nicht skripten oder spielen. Deshalb sind Pornofilme auch so langweilig – Sexpodcasts aber voll im Trend.

Podcasts als neuer Porno?

Nein, Pornos funktionieren nach wie vor, aber nur auf visueller Ebene. Audio hingegen ist in der Vermittlung von Inhalten die anspruchsvollste Disziplin. Es muss allein über den akustischen Kanal funktionieren. Dieser Herausforderung sollten sich alle – die jetzt zum Aufnahmegerät greifen – klar sein.